Nicht gut genug - Warum du nie wirklich zufrieden bist.

Fußballprofi, 120.000 Euro Gehalt im Jahr, 335er BMW mit 286 PS, Penthouse-Wohnung mit 100m2 Terrasse, Urlaube im 5-Sterne-Ressort.

Gerade gut genug.

Mit 18 erfüllte ich mir meinen Kindheitstraum. Ich unterschrieb meinen ersten Profivertrag. Ich war glücklich und fühlte mich angekommen. Für einen Moment.

Die nächsten Ziele standen schon auf meinem Karriereplan: Stammspieler, A-Nationalspieler, Wechsel ins Ausland. Mehr Geld, schnelleres Auto, größere Wohnung. Trainer, Berater und andere Einflüsterer sagten mir, ich solle mich nie mit dem zufrieden geben, was ich habe. Und somit war ich auch nie (wirklich) zufrieden.

Dass dir Leute das sagen, dein Umfeld dir das eintrichtert, unser System das vorgibt, ist die eine Seite. Solange unsere Wirtschaft ständig wachsen muss und Profisportler als Helden dienen, geht das auch nicht anders. Die andere Seite ist, was du daraus machst, wie sehr du diesem Selbstoptimierungswahn, diesem Höher-Schneller-Weiter und Immer-Mehr unter die Räder kommst.

Der Druck beginnt früh. Spätestens im Kindergarten musst du dich unterordnen, folgen, "brav" (dieses Unwort haben wir - vor allem in der Begleitung unseres Sohnes - mit "zufrieden" ersetzt) sein. In der Schule bescheinigen dir Noten, wie gut du bist und nach der Schule solltest du dann unbedingt noch auf die Uni, denn wer nicht studiert, der wird es am Arbeitsmarkt schwer haben.

Nicht gut genug.

Dort kämpfst du dann um einen Arbeitsplatz. 40 Stunden sind gerade genug. 50-60 wären besser. Je voller dein Kalender ist, desto wichtiger fühlst du dich. Je mehr Termine, Telefonate und Besprechungen du schaffst, desto produktiver bist du. Ohne Fleiß kein Preis.

Denn nur wer hart arbeitet, kann mal was werden. Und nur wer viel Geld verdient, ist dann auch jemand.

Willst du dich beruflich verändern, musst du in Bewerbungen einen lückenlosen Lebenslauf vorlegen. Wehe du warst einmal ein paar Monate arbeitslos, weil du eine Auszeit gebraucht hast. Das ist nur was für Schwächlinge. Oder EsoterikerInnen, die dann auf Reisen ihren Sinn des Lebens suchen. Im Bewerbungsgespräch zeigst du natürlich nur deine beste Seite. Dass du manchmal schwer aus dem Bett kommst, alle 30 Minuten eine rauchen willst oder autoritäre Chefs nicht leiden kannst, verschweigst du natürlich. Du hast nicht den Mut, die Maske fallen zu lassen. Aus Angst

nicht gut genug

zu sein. Hast du dich als eine(r) dieser SinnsucherInnen selbstständig gemacht und musst dich endlich nicht mehr von anderen herumkommandieren lassen, gleichst du ständig mit den anderen Freigeistern auf Instagram, Facebook oder LinkedIn ab: Da findest du Typen, die können mit Laptop am Strand arbeiten, passives Einkommen generieren und strahlen in ihren Feeds um die Wette. Du hingegen hacklst bis zum Umfallen, um gerade irgendwie deine Rechnungen bezahlen zu können.

Nicht gut genug.

Und wenn es doch finanziell richtig gut läuft, dann ginge ja noch mehr. Ein Start-up zu gründen ist cool, eines zu verkaufen noch cooler. Und dann das nächste und das nächste. Vielleicht schaffst du es irgendwann ins Ö3-„Frühstück bei mir“ zu Claudia Stöckl oder in die Puls4-Show „2min2mio“ oder darfst sogar als Business Angel dort Platz zu nehmen. Falls diese oder ähnliche Anfragen nicht kommen:

Nicht gut genug

Als UnternehmerIn, TrainerIn oder LehrerIn musst du ständig die Person sein, auf die alle aufschauen. Auf Fragen und Herausforderungen musst du die Antworten liefern.

Du musst vorangehen, Stärke beweisen, Leadership zeigen. Du musst alles selber wissen und immer mehr als dein Team. Schließlich stehst du in der Hierarchie über den anderen. 

Bist du einmal müde, schwach oder hast du einfach keine Ahnung, du ahnst es ...

Nicht gut genug.

Ist dein großer Traum - so wie gefühlt von 80% der Buben in Österreich - Fußballprofi zu werden, schaffst du es aber nicht, nagt dieses Scheitern an dir. Vielleicht bist du schon im Sportunterricht bei den Spielen immer als Letzter gewählt worden, vielleicht hast du es knapp nicht zum Profi geschafft oder vielleicht hast du es sogar geschafft, aber verpasst den Sprung ins "Leben danach", weil du nicht weißt, was du außer Fußball sonst noch kannst und was du mit deinem Leben jetzt anstellen sollst. Laut einer Studie der "FIFPro" von 2014

leiden 39% der Fußballer nach ihrer Karriere an Depressionen oder Angstzuständen.

Das Ergebnis ist oft das gleiche: Ein zerplatzter Traum. Eine Krise. Das Gefühl, nicht gut genug zu sein. Ich bin in den letzten 15 Jahren sehr vielen zerbrochene Fußballer-Seelen begegnet, zum Teil sehr erfolgreiche Unternehmer oder Manager, die Jahre oder Jahrzehnte (!) nach ihrem fußballerischen Scheitern noch immer diesen Glaubenssatz mit sich herumschleppen. Oft unbewusst, was das eigentlich Tragische dabei ist, denn sonst könnten sie ja damit arbeiten. Ähnlich geht es vielen Frauen mit dem zerplatzten Kindheitstraum des Models, der Sängerin oder der Schauspielerin.

Nicht gut genug.

Abseits von Bildung und Beruf verführen uns noch viele andere Dinge zum Selbstoptimierungswahnsinn: Fitnessstudios, Nahrungsergänzungsmittel (über Schmerzmittel bis hin zu Medikamenten), Mode, Ratgeber oder Apps, die dir sagen, wie viel du schlafen, dich bewegen und - jetzt wird's skurril - NICHT am Smartphone hängen solltest. Unterstützt durch die Werbung, die ständig damit spielt, dir Bedürfnisse unterzujubeln, die du eigentlich gar nicht hast – immer mit der gleichen Botschaft:

Du bist nicht gut genug!

Noch Fragen? Das Leben, unser System, unsere Gesellschaft macht es dir gar nicht so leicht, dich gut genug zu fühlen, oder? Vielleicht kennst du dieses Gefühl, so wie so viele in unserer Leistungsgesellschaft. Wenn du an dir zweifelst, ist es an der Zeit, in dein ganz persönliches „Nicht gut genug“ einzutauchen. Wo kommt es her? In welcher Form zeigt es sich? Was darfst du daraus lernen? Nur in deinem tiefsten Inneren kannst du diesen Glaubenssatz in ein „Gut genug“ ein „Wertvoll“ oder „Einzigartig“ transformieren. Dein größter Schatz verbirgt sich in deinem größten Schmerz. Dieser Prozess muss aber nicht weh tun, du kannst ihn auch sehr spielerisch angehen.

Du BIST gut genug!

Mehr als das! Du bist besonders, einzigartig und als Mensch unantastbar. Einfach nur so wie du bist, ohne irgendetwas tun, können oder leisten zu müssen. Und wenn du dich schon über Fähigkeiten und Leistungen definieren möchtest, dann versuche zumindest einmal den Blickwinkel zu ändern: „Sometimes you win, sometimes you learn.“ – eine Einstellung, die mein Leben verändert hat. Zudem habe ich dazu ganz unten noch drei Übungen für dich.

Bin ich gut genug?

Ich selbst habe diesen Prozess vor einigen Jahren so richtig gestartet. Nach vielen großartigen Erfolgen und schmerzvollen Misserfolgen – sowohl im Fußball als auch danach – habe ich schon einige Schritte geschafft. Aber in gewissen Momenten poppt mein „Nicht gut genug“ immer noch auf. So wie jetzt gerade wieder gegen Ende dieses Blogposts: "Judith, magst du bitte drüberlesen, ob das eh so passt?" Wenn ich mich dabei ertappe, ist es entscheidend, nicht wie früher als Fußballer zu hart mit mir ins Gericht zu gehen und mir wieder vorzuwerfen „Noch immer nicht geschafft“, sondern ihm stattdessen freundlich und liebevoll zu begegnen. Denn Selbstverwirklichung ist kein Leistungssport, sondern eine Reise. Ich muss gegen keine Gegenspieler kämpfen, um zu siegen, sondern darf mit mir und meinem Umfeld spielen, um zu wachsen.

Und das gelingt mir immer besser aus der Fülle anstatt aus dem Mangel heraus. Ich habe mittlerweile verstanden, dass ich es paradoxerweise nicht trotz - sondern gerade wegen meines "Nicht-gut-genug", zum Fußballprofi geschafft habe. Aus meiner Sehnsucht - oder aus meiner "Frühstörung", wie Hans Joachim Maaz in der "Liebes-Falle" schreibt- jemand zu werden, um jemand zu sein. Wie meine vier schweren Verletzungen mir gezeigt haben, wäre der gesündere Weg, vorher schon jemand zu sein, um dann jemand werden zu können. Inside-out. Nicht umgekehrt.

Die Neurobiologie hat herausgefunden, dass die Hirnstruktur eines Leistungssportlers oder einer Führungskraft aus Politik oder Wirtschaft oft der eines Schwerverbrechers sehr ähnlich ist.

Ein amerikanisches Beispiel auf höchster Ebene zeigt uns aktuell sehr eindrucksvoll, dass da etwas dran sein könnte. Der Unterschied ist nur, dass sie andere Wege gefunden haben, ihren Mangel zu kompensieren. So landen auch viele gescheiterte Leistungssportler später an der Spitze in Politik oder Wirtschaft. Symptomverschiebung nennt man das in der Psychologie. ("Das Böse beginnt im Gehirn" - Artikel in der "FAZ".)

Und was diesen Blogpost betrifft, habe ich mittlerweile auch verstanden, dass es nicht darum geht, Klicks oder gute Feedbacks zu sammeln, sondern auf mein Gefühl vertrauen zu dürfen, dass meine Texte "gut genug" sind, wenn sie von Herzen kommen. Und trotzdem hat es richtig gut getan, als Judith mir gestern Abend noch sagte: "Der Post hat mich sehr berührt. Danke!"

Da habe ich wohl noch ein paar Schritte zu gehen...

Enjoy your-self,
Peter

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Ein Buch für dich
// "Die Liebesfalle" - Hans-Joachim Maaz

3 Übungen für dein „Gut genug“
1. Reflektiere längerfristiger.
Meine Coachees haben oft das Gefühl, nicht gut genug zu sein oder dass nichts weitergeht, weil sie zu kurz reflektieren. Überleg' mal wo du vor einem, drei oder fünf Jahren standest und was du seitdem alles gelernt, erlebt und erreicht hast. Hier ein cooles Tool dazu: "YEAR COMPASS".

2. Frage dein Umfeld.
Wenn du dir schwer tust, eigene Stärken wahrzunehmen oder zu benennen, dann frag' mal deine Familie und besten Freunde, was du gut kannst. Du wirst erstaunt sein, welche Dinge da kommen. 

3. Beobachte dein Umfeld (und verändere es gegebenfalls.
Umgibst du dich mit Menschen, wo du du sein darfst? Ohne Maske, ohne schlechtes Gewissen, ohne Angeberei? Wie sehr vergleichst und misst du dich mit deinem Umfeld und macht das Sinn (vor allem mit deinen Facebook- & Instagram-"Freunden")? Ist es an der Zeit, dich von manchen Menschen, Whats-App-Gruppen oder vielleicht sogar von deinem Job zu lösen?

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* Zur besseren Lesbarkeit habe ich bei Personenbezeichnungen meist die männliche Form gewählt. Gemeint sind natürlich immer auch die Frauen.

Peter Hackmair