Emotionen im Griff - Warum sie so wichtig sind und wie du sie regulieren kannst

Wie geht es dir?

„Gut!“, höre ich dich jetzt - sagen.

Wirklich?

Schließ’ mal die Augen, atme tief durch und spür’ noch mal rein, in dich und deinen Körper. Versuche nicht darüber nachzudenken.

Also wie geht’s dir? Nimm dir zumindest ein paar Sekunden Zeit...

Gar nicht so leicht zu beantworten, oder?

Vor allem reicht dafür oft „gut“ oder „schlecht“ nicht aus. Gefühle kann man generell oft schwer beschreiben. Aus der Ratio aber nie. Dann sind es nämlich Gedanken.

Ich ertappe mich auch immer wieder, diese Frage nur oberflächlich zu beantworten. Oft auch, weil sie auch nur oberflächlich daherkommt. Wenn dein Gegenüber dir die Frage nur so hinschmeißt, ohne wirklich an deiner Antwort interessiert zu sein, dann entsteht auch kein Raum, in den du tiefer eintauchen könntest.

Deine Gefühle zu spüren, anzunehmen und auszuleben ist eigentlich das Natürlichste des Menschen. Genauer gesagt sind es im Ursprung deine unbewussten Emotionen, die du empfindest. Die instinktive erste Emotion kannst du auch nicht steuern. Deshalb brauchst du dich auch nicht schlecht fühlen, wenn dir im ersten Moment zB etwas richtig Angst macht oder dich jemand wütend macht.

Gefühle sind der Ausdruck unserer wahrgenommenen Emotionen.

Erst im Wahrnehmen und Annehmen wird die Emotion zum Gefühl. Und da kommt deine Chance ins Spiel. In meinen Transformations-Trainings nenne ich diesem Moment die Atempause. Das Fenster zwischen Ein- und Ausatmen, das Vakuum zwischen Vergangenheit und Zukunft, die Brücke, auf der die Emotion zum Gefühl wird. In diesem kurzen Augenblick, den du durch Atemübungen ausdehnen kannst, hast du die Chance, dein Gefühl zu steuern, einzuordnen und dann auch bewusst auszuleben – in dem Rahmen, der für dich stimmig ist. Studien aus der Neurobiologie beweisen bereits, dass Menschen, die seit längerem meditieren, eine höhere Dichte an Nervenzellen im frontalen Kortex, einer Region oberhalb der Augenhöhlen, zeigen, die uns helfen, emotionale Reaktionen umzulernen.

Emotionen zu regulieren ist auch deshalb so wichtig, weil deine Emotionen dein Verhalten steuern, deine Persönlichkeit prägen und deine Beziehungen beeinflussen.

Wie man Gefühle in seiner pursten und direktesten Form ausleben kann, erfahre ich vor allem seit 1 Jahr, 10 Monaten und 22 Tagen. Denn so alt ist unser Sohn Felix jetzt. Kann ich gerade nicht mit ihm spielen, weint er. Will er nicht gewickelt werden, schreit er. Mache ich die lustige Kuschelmonster-Grimasse, lacht er, bis er umfällt. In den ersten Monaten, wenn Kinder noch nicht gehen und sprechen können, ist der unmittelbare Gefühlsausdruck die einzige Möglichkeit, Bedürfnisse zu kommunizieren. Das ist als Eltern oft schwer auszuhalten, aber es wäre wichtig, um die Gefühle der Kinder nicht zu unterdrücken.

Zugegeben könnte es spannend werden, wenn auch wir Erwachsenen – vor allem in Gruppen – unseren Gefühlen immer und sofort völlig freien Lauf lassen würden. Das ist auch nicht das Ziel. In bestimmten Situationen kann es auch ein wertvoller Schutzmechanismus sein, deine Gefühle nicht sofort auszuleben. Wenn du aus Angst von deiner Präsentation davonläufst oder vor Wut deinen Chef anschreist. Umgekehrt sagt es viel über deine Beziehungen aus, bei wem du deine Gefühle offen zeigen und über sie reden kannst. Und vielleicht noch mehr, wenn du gar nicht über sie reden musst, weil dein Gegenüber spürt, wie es dir geht.

Im ersten Schritt ist es wichtig, deine Emotion bewusst wahrzunehmen und anzunehmen. In „Epiq“ bei Psychotherapeut und Humanenergetiker Dr. Markus Jahn habe ich genau das spielerisch gelernt: Die Emotion bewusst zu spüren, zu benennen und auch in ihrer Intensität auf einer Skala von 1-10 einzuordnen. Daraus ergibt sich bei mir dann zB in einem Streit mit Judith „Ärger 8“ oder beim Hören von Pizzera & Jaus' „Liebe zum Mitnehmen“ „Begeisterung 10“ oder in einem Gänsehautmoment in einer Trainings-Sesssion „Freude 9“. Unterspannung wie zB Begeisterung 1 (= Langeweile) kann das Leben für kurze Zeit sogar entspannend machen, Überspannung wie  „Begeisterung 10“ euphorisch. Auf lange Sicht sind sie aber beide ungesund. Auch die positiven!

Die Emotionen zu spüren und anzunehmen ist im ersten Schritt auch deshalb so wichtig, um sie dann auch in einer konstruktiven Form ausleben zu können. 

Manchmal ist es auch wichtig, dabei alles rauszulassen. Aber oft reicht es schon, deine Gefühle einfach benennen und aussprechen zu können. Dafür haben wir uns dieses Werkzeug namens Sprache u.a. ja angeeignet. Ein „Ich bin wütend, weil ...“ kann deine Partnerin wahrscheinlich besser nehmen als wenn du sie anschreist oder einfach weggehst und innerlich „weiterkochst“. Zumindest hilft mir das in meiner Beziehung mit Judith. Oder auch ein "Ich bin nervös" vor der Präsentation kann Druck wegnehmen und Leichtigkeit bringen. Wenn du willst, dass dein Körper, dein Geist und deine Seele im Einklang schwingen, dann ist es auch wichtig, dass du sagst, was du denkst und fühlst.

Lebst du deine Emotionen nicht aus, manifestieren sie sich im Körper.

Emotionen sind Hormone, die der Körper ausschüttet, als Signale, um etwas zu tun oder in Bewegung zu setzen. Das Raubtier greift den Neandertaler an, das Blut wandert in die Muskulatur, der Sympathikus fährt hoch, der Puls auch, die Muskeln spannen sich an und er ist ready - je nach Selbsteinschätzung - zum Kämpfen oder Davonlaufen. Würde der Neandertaler seine Angst unterdrücken, würde der Prozess nicht in Gang kommen und er würde gefressen werden. (Wurde er auch so oft genug, aber dann hatte er zumindest eine Chance.)

So wie auch deine Angst vor der Präsentation nicht weg ist, wenn du sie nicht beachtest. Die Emotion speichert sich im Unterbewusstsein und somit in deinem Körper ab und findet irgendwann andere Wege, um sich zu zeigen.  Manchmal sofort, in dem du zB zu zittern beginnst, dich versprichst oder Worte verschluckst. Letztes passiert mir immer dann, wenn ich – aus Angst vor Konflikten – nicht den Mut habe, das zu sagen, was ich wirklich denke.

Manchmal zeigt sich die unterdrückte Emotion aber auch erst Stunden später, manchmal auch erst Wochen, Monate oder sogar Jahre später. Je später oder auch abstrakter die Symptome, desto schwieriger ist der Zusammenhang zu erkennen. Die reichen von leichtem Halsweh über chronische Rückenbeschwerden bis hin zu schweren Erkrankungen oder Unfällen. Der Hals schmerzt, weil du etwas nicht aussprechen willst. Die Brust wird eng, weil dir vor Angst die Luft weg bleibt. Die Schultern tun weh, weil du eine zu große Last mit dir herumschleppst. Die Verdauung spinnt, weil dir was im Magen liegt. Dein Rücken meldet sich, weil du kein Rück-Grat zeigst, nicht für deine Werte und Meinungen einstehst. Oder – wie in meinem letzten Blogpost „Ein Leben ohne Maske“ beschrieben – das Kreuzband reißt, aus innerer Zerrissenheit, weil du im Außen dauernd den starken Leistungsträger spielen musst, obwohl du in dir drin oft mit der Angst vorm Versagen kämpfst. Die Psychosomatik lässt grüßen.

Es gibt keine negativen Emotionen!

In der Psychologie unterteilt man die Grundemotionen (manche sprechen von 6, andere wiederum von 10 oder gar 27 Grundemotionen) in positive wie Liebe, Freude, Begeisterung und "negative" wie Angst, Trauer oder Wut. Das impliziert logischerweise negative Gedanken mit den negativen Emotionen. Dabei ist es genau so wichtig (und somit positiv) diese negativen Emotionen anzunehmen und "negative" Gefühle auszuleben. Manchmal sogar noch wichtiger, weil im Schmerz oft der Schatz versteckt ist, gerade weil es uns in unserer Gesellschaft nicht leicht gemacht wird, diese negativen Gefühle auszuleben. JA, du darfst sagen, wenn es dir nicht gut geht. JA, du darfst von der Arbeit daheim bleiben, wenn du erschöpft bist und musst nicht darauf warten, bis du Fieber hast oder im Burn-out landest. JA, du darfst deiner Partnerin sagen, dass du eifersüchtig bist, auch wenn das an deinem Ego kratzt. JA, du darfst einem Freund sagen, dass du Neid verspürst, weil er gerade eine glückliche Beziehung führt, mehr Geld verdient oder ein schöneres Auto fährt.

Und natürlich solltest du genau so und noch viel lieber die positiven Emotionen ausleben. Das ist ja noch absurder, dass wir Erwachsenen uns damit oft so zurückhalten. Mach einen Luftsprung, wenn du dich freust. Wirklich! Springe, so hoch du kannst! Zeig' deinen Herzensmenschen, dass du sie liebst. Und wenn Corona gerade keine Umarmung zulässt, dann schenke ihnen zumindest dein schönstes Lächeln oder ein verbeugendes Namasté. Sag deinen Freunden, was du an ihnen schätzt. Sag' Leuten „Danke“ für etwas, was du bisher selbstverständlich gesehen hast und dir selber „Danke“, wenn du wieder den Mut hattest, du selbst zu sein. Hör' im Auto dein Lieblingslied und sing' so laut und inbrünstig mit wie du nur kannst. Und im Zweifelsfall lass’ das Fenster runter, damit du mit deiner Begeisterung auch andere anstecken kannst. Und wenn du Dinge nicht sagen willst, dann schreibe sie. In dein Tagebuch, als WhatsApp oder Brief.

Der Sinn des Lebens ist, es zu leben.

Es gibt so viele mögliche Sinne des Lebens oder – wie Pizzera & Jaus singen – vielleicht auch gar keinen bestimmten. Mit „Eini ins Leben“ meinen sie glaube ich genau das, was ich mit diesem Blogpost versucht habe zu teilen: Das Leben wahrnehmen, annehmen und ausleben. Deinen Körper, deine Gedanken und eben auch deine Emotionen. Mit all seinen positiven und „negativen“ Seiten. An beiden dürfen wir reifen und wachsen.

Auch mir fällt das nach wie vor nicht immer leicht. Aber mein Glück ist, dass mein Vorbild in unserer Wohnung lebt: Felix ist nicht nur unser größtes Geschenk, sondern - wie alle kleinen Kinder - auch unsere größte Inspiration, wenn es darum geht, der Mensch zu sein, der du wirklich bist. Das klingt so einfach und kann doch so schwer sein! Aber du könntest mit einem ersten kleinen Schritt beginnen. Auf die Frage „Wie geht’s dir?“ einfach mal durchatmen, drei Sekunden reinspüren und dann erst antworten. Und auch den Mut haben, zu sagen, wenn es dir nicht „gut“ geht.

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Eine Übung für dich - Emotionen regulieren
Wenn du in deinem Alltag spürst, dass dich etwas - egal ob positiv oder negativ - bewegt oder aufregt: Halte inne, atme drei Mal tief durch und stell' dir folgende Fragen:
// Welche Emotion ist das?
// Wie stark ist sie (auf einer Skala von 1-10)?
// Wo könnte sie herkommen bzw. was hat sie mit mir zu tun?
// Wie kannst du sie konstruktiv ausleben?

Mehr Inspiration für dich
// „Die Macht in dir“ – Buch von Sportwissenschaftler Gerhard Zallinger
// "Meine Gefühle und ich" - Artikel in "Zeit online"

* Zur besseren Lesbarkeit habe ich bei Personenbezeichnungen meist die männliche Form gewählt. Gemeint sind natürlich immer auch die Frauen.

Peter Hackmair